Papst Johannes XXIII.
Angelo Guiseppe Roncalli
 
 
25.11.1881  -  3.6.1963

Papst Johannes XXIII.
Wegbereiter einer neuen Haltung der Kirche zu den Menschenrechten

Von Walter Flick

Papst Johannes XXIII. (Pontifikat 1958-1963) steht für eine Modernisierung der Katholischen Kirche im 20. Jh. Hierzu gehört auch, daß er ausdrücklich die UN-Menschenrechtserklärung von 1948 aufgriff und den Einsatz für die Menschenrechte als »Zeichen der Zeit« hervorhob. Er selbst rettete während des II. Weltkriegs als Apostolischer Delegat für Griechenland und die Türkei viele Juden vor der Deportation in die Konzentrationslager. Er leitete im historischen Kontext eine neue Haltung der Katholischen Kirche gegenüber dem Begriff der Menschenrechte ein. Am 3.9.2000 wurde Johannes XXIII. in Rom seliggesprochen.

»Pacem in terris« – Magna Charta der Menschenrechte

Gegenüber einem »Geist der Moderne«, der etwa in der Französischen Revolution und der daraus hervorgegangenen Menschenrechtserklärung von 1789 seinen Ausdruck fand, nahm die katholische Kirche eine undifferenziert ablehnende Haltung ein. Sie war zumindest nicht in der Lage, die positiven Elemente der Französischen Revolution zu würdigen und dieses ethische Grundsatzprogramm für ihr eigenes Denken positiv aufzuarbeiten. In einem Arbeitspapier der Päpstlichen Kommission Justitia et Pax – Die Kirche und die Menschenrechte – aus dem Jahre 1975 heißt es: »Die Haltung der Kirche in den letzten beiden Jahrhunderten gegenüber den Menschenrechten war nur zu oft durch Zögern, Einsprüche und Vorbehalte gekennzeichnet.« Zwar finden sich bei den Päpsten Leo XIII., (1878-1903), Pius XI. (1922-1939) und Pius XXII. (1939-1958) Annäherungen an die Idee der Menschenrechte, den entscheidenden Durchbruch aber vollzog erst Johannes XXIII. in »Pacem in terris«. Die Enzyklika ist die erste ausführliche Stellungnahme des Lehramtes der katholischen Kirche, in dem die Menschenrechte nachdrücklich thematisiert werden. Deshalb sei hier näher darauf eingegangen.

Der Mensch ist seinem Wesen nach Person

Für Johannes XXIII. gehören Frieden und Menschenrechte grundlegend zusammen. Es wird deshalb zum ersten Male in einem päpstlichen Rundschreiben nicht nur die Gemeinschaft der Gläubigen, sondern es werden »alle Menschen guten Willens« angesprochen. In seiner Argumentation geht der Papst auch auf die ein, die weltanschaulich nicht auf christlichem Boden stehen.

Zentral vorangestellt wird eine Grundüberlegung zum Menschenverständnis: Der Mensch ist »seinem Wesen nach Person ... Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willenskraft ausgestattet ist; er hat daher aus sich heraus Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Wie sie allgemein gültig und unverletzlich sind, so können sie auch in keiner Weise veräußert werden«. Mit anderen Worten: Menschenrechte dürfen niemandem abgesprochen und vorenthalten werden, und wir selbst können nicht auf sie verzichten.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 ist nach den Worten von Johannes XXIII. ein »Akt von höchster Bedeutung« und »ein Zeichen der Zeit«. Denn hier wird »die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt«.

Für den Christen ist allerdings die Würde der menschlichen Person von der Offenbarungswahrheit her noch höher einzuschätzen: »Denn die Menschen sind ja durch das Blut Jesu Christi erlöst, durch die himmlische Gnade Kinder und Freunde Gottes geworden und zu Erben der ewigen Herrlichkeit eingesetzt.«

Rechte und Pflichten

Der Menschenrechtskatalog des päpstlichen Rundschreibens unterscheidet sich allerdings von der Erklärung der Vereinten Nationen durch eine Betonung der Pflichten bei der Wahrnehmung der menschlichen Rechte. Freiheits- und soziale Rechte müssen zu einem organischen Ganzen zusammengefügt werden.

In einem Vorwort und fünf Hauptteilen werden die menschlichen Beziehungen in ihren verschiedenen Ebenen durchleuchtet. Die fundamentalste Aussage des 1. Artikels lautet:

»Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen zu allen Zeiten sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird.«

Im 1. Hauptteil, der die Ordnung unter den Menschen behandelt, wird u.a. das Recht auf Leben, dessen Erhaltung und menschenwürdige Gestaltung gefordert. Der Mensch »hat ein Recht auf Beistand im Fall von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit ...« Das Recht auf Achtung der Person, Meinungs- und Berufsfreiheit, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf Eigentum.

Der 2. Hauptteil behandelt die Beziehungen der Menschen zur eigenen Staatsgewalt mit ihrer Grundlegung im Gemeinwohl.

Im 3. Hauptteil über die Beziehungen zwischen den politischen Gemeinschaften werden u.a. die tätige Solidarität für Entwicklungsländer, die Hilfe für Flüchtlinge, der Schutz staatlicher Minderheiten und die notwendige, allseitige Abrüstung hervorgehoben.

Im 4. Hauptteil entwickelt der Papst die Vorstellung einer überstaatlichen Weltgemeinschaft.
Die UN-Menschenrechtsdeklaration ist »als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten«.

Mit der Enzyklika »Pacem in terris« hat der jetzt seliggesprochene Papst eine Magna Charta der Menschenrechte geschaffen, die über den kirchlichen Raum hinaus von Bedeutung geworden ist. Das Konzil und die folgenden Päpste haben diese Lehre und das kirchliche Bewußtsein für die Menschenrechte weiterentwickelt.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Walter Flick ist Referent für Religionsfreiheit bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) Borsigallee 9, 60388 Frankfurt am Main. info@igfm.de / www.igfm.de. Die Rechte an diesem Text liegen beim Autor.


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