Johannes XXIII. – Die Mondscheinrede
Gott sei Ehre, und Friede auf Erden
allen Menschen guten Willens

Von Heribert Ester

Alexander Bayer textet im ersten Song des hörenswerten Musikhörspiels »Johannes XXIII.« des Ensemble Entzücklika * :

Konrad Adenauer
sagte über ihn:
Dieser Papst war dumm.

Die Katholiken
und Protestanten
und Kommunisten
und Orthodoxen meinten:
Er ist ein gütiger Papst.
Italienische Pilgerinnen
streichen Kopf und Hände
eines bronzenen Abbildes des Papstes,
das vor seinem Geburtshaus steht.
Streicheln Kopf und Hände und Füße dieses Papstes,
dann schlagen sie das Kreuz
und gehen fröhlich nach Haus.

Bei seinem Tod am 3. Juni
stürzte die ganze Welt in Trauer.
Der Petersplatz war überfüllt
mit Betenden und Weinenden.
Sie sagten zueinander:
Dieser Papst war ein Heiliger.

Ja, dieser Papst, dieser Bauernsohn auf dem Stuhl Petri, Johannes XXIII., war ein Segen für die Kirche, ein Segen für die Menschheit.

Das deutsche Wort Segen geht zurück auf das lateinische Wort »signum«, das am besten übersetzt wird mit der Wendung: Ein bedeutendes Zeichen. Das Wort »Signal« hat den selben Wortstamm. Wer die Stellung eines Signals – ob es geschlossen oder geöffnet ist – richtig deuten kann, entscheidet damit über Heil und Unheil von Menschen. Der von Gott Gesegnete soll also für seine Mitmenschen ein Zeichen sein, das ihn zum Heil führen kann.

»Dazu seid ihr berufen: Segen zu spenden!« – heißt es im ersten Petrusbrief (1 Petr 3,9).

Daß dieser Segen nichts Theoretisches ist, sondern fühlbar und spürbar sein darf wie eine liebevolle Umarmung oder ein Gutenachtkuß, das hat wohl niemand schöner und verständlicher ausgedrückt als der selige Papst Johannes XXIII. .

Am Abend der Konzilseröffnung wandte er sich auf das Drängen seines Sekretärs mit einer frei gehaltenen Ansprache an die unzähligen Menschen, die sich auf dem Petersplatz versammelt hatten, und hielt zum Abschluß des eindrucksvollen Fackelzugs vom Fenster seines Arbeitszimmers aus die berühmte »Mondscheinrede«:

»Geliebte Kinder, ich höre eure Stimmen. Meine Stimme ist nur eine einzige, aber sie nimmt die Stimmen der ganzen Welt in sich auf. Hier ist in Wirklichkeit die ganze Welt vertreten. Man könnte meinen, sogar der Mond hätte sich heute Abend besonders beeilt, um dieses Ereignis mitzuerleben. Seht, wie er dort oben strahlt! Ihm ist bekannt, daß wir den Abschluß eines großen Tages des Friedens feiern, ja des Friedens: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen Menschen guten Willens. Wir müssen diesen Wunsch oft wiederholen.
Vor allem, wenn wir feststellen können, daß tatsächlich der Lichtstrahl und und die Liebe des Herrn uns einen und ergreifen, dann wollen wir sagen: Seht da, ein Vorgeschmack des Lebens, welches das Leben auf immer sein wird, das Leben aller Jahrhunderte, und das Leben, das uns für alle Ewigkeit erwartet.

Wenn ich nun fragte, wenn ich jeden einzelnen fragen könnte: Ihr, woher kommt ihr? Die Söhne und Töchter Roms, die hier besonders stark vertreten sind, würden antworten: Wir sind Eure Söhne und Töchter, die Euch am nächsten sind, Ihr seid unser Bischof, der Bischof Roms, des caput mundi, der Hauptstadt der Welt; dies zu sein, dazu ist Rom durch den Plan der Vorsehung berufen: zur Ausbreitung der christlichen Wahrheit und des christlichen Friedens. In diesen Worten liegt die Antwort auf eure Huldigung. Meine Person zählt nichts; Es ist ein Bruder, der zu euch spricht, ein Bruder, der durch den Willen unseres Herrn Vater geworden ist. Vatersein und Brudersein aber ist alles miteinander Gnade Gottes. Alles! Alles!

Bleiben wir also dabei, einander wohl zu wollen, einander auf diese Weise wohl zu wollen; und wenn wir einander begegnen, dann wollen wir das wahrnehmen, was eint, und beiseite lassen, falls es so etwas gibt, was uns ein wenig in Schwierigkeiten festhalten könnte. Seien wir Brüder! Das Licht, das über uns leuchtet, das in unseren Herzen ist und in den Stimmen unseres Gewissens, ist Licht Christi, der mit seiner Gnade wirklich alle Menschen führen will. 

Heute Morgen haben wir uns eines Anblicks erfreut, den auch die Basilika des heiligen Petrus in den vierhundert Jahren ihrer Geschichte noch nie hat erleben können. Wir gehören doch einer Epoche an, in der wir sensibel sind für Stimmen von oben. Und deshalb wollen wir treu sein und bei der Richtung bleiben, die Christus, der Hochgelobte, uns hinterlassen hat. [...]

Wenn ihr nach Hause zurückkehrt, dann werdet ihr dort eure Kinder vorfinden: Liebkost sie und sagt ihnen: Das ist vom Papst.
Ihr werdet vielleicht auch Tränen zu trocknen haben, habt dann ein Wort des Trostes für die Betrübten und Niedergeschlagenen. Sie sollen wissen, daß der Papst besonders in traurigen und bitteren Stunden bei seinen Kindern ist.
Schließlich wollen wir aller gedenken, besonders derjenigen, die mit uns durch das Band der Liebe verbunden sind, und ob singend oder seufzend oder weinend, aber immer voller Vertrauen auf Christus, der uns hilft und uns hört, wollen wir vorwärts gehen auf unserem Weg.
Dem Segen füge ich noch meinen Gutenachtkuß an, und ich empfehle euch, es nicht bei einem Anflug von guten Vorätzen bewenden zu lasen. Heute, so kann man wohl sagen, beginnen wir ein Jahr, das uns außerordentliche Gnaden bringen wird. Das Konzil hat begonnen, und wir wissen nicht, wann es zu Ende sein wird. Sollten wir vor Weihnachten nicht zum Ende kommen, weil es uns vielleicht nicht gelingt, bis zu diesem Tag alles zu sagen und die verschiedenen Themen zu behandeln, wird eine zweite Zusammenkunft nötig sein. Nun gut, immer aufs neue zu erfahren, daß wir ein Herz und eine Seele sind, muß uns immer wieder froh machen, uns, unsere Familien, Rom, die ganze Welt. Und so mögen diese Tage ruhig herankommen. Wir erwarten sie in großer Freude.«
1

Johannes XXIII. war ein lebendiges Beispiel dafür, daß es meist keiner großen Taten bedarf, für andere ein Segen, ein Zeichen des Heils zu sein. Es braucht nur ein Herz, das liebt.
Schade eigentlich, daß Konrad Adenauer offenbar genau das nicht begriffen hat.
 

 

1 Die "Mondscheinrede" wird in den verschiedenen Büchern über Johannes XXIII. meist stark verkürzt und mit unterschiedlicher Abfolge der einzelnen Gedanken wiedergegeben. Die hier vorgestellte Fassung folgt im Wesentlichen der Übersetzung aus "Guiseppe Albergino: Johannes XXIII. - Leben und Wirken des Konzilspapstes, Mainz 2000", orientiert sich in einigen Passagen aber sprachlich auch an anderen Übersetzungen.


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