Lesesaal   
„Ein Stummer
kann keine Messe halten“


Der Kirchenführer sagt, wo's langgeht

Zum Amtsjubiläum von Johannes Paul II. ist in Rom eine  Diskussion darüber entbrannt, ob ein Papst auch nach dem Verlust seiner Sprache sein Amt ausüben darf. Der  argentinische Kardinal Jorge María Mejía meint laut  italienischen Zeitungen vom Freitag, Johannes Paul II. könnte auf die Weiterführung seines Amtes verzichten, wenn er es als Folge seiner Parkinson-Krankheit nicht mehr richtig ausführen könne. „Ein Stummer kann keine Messe halten“, zitierte die Mailänder Zeitung „Corriere della Sera“ den Kardinal. Andere Würdenträger meinten allerdings, Johannes Paul könne die Kirche trotzdem weiter führen.
Spekulationen über einen Rücktritt gibt es seit Jahren. Selbst hohe Kardinäle wie Kurienkardinal Joseph Ratzinger und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hatten diese Möglichkeit vor einiger Zeit angedeutet. 
Johannes Paul reagierte darauf mitunter verärgert und gereizt. „Auch Jesus ist nicht vom Kreuz gestiegen“, sagte er einmal. Der Papst machte bei einer Messe zu seinem 25-jährigen Amtsjubiläum erneut klar, dass er nicht an Rücktritt denke. 
Unterdessen gehen für das Kirchenoberhaupt die Strapazen der Jubiläumsfeiern weiter. Am Freitagabend stand ein Konzert des Mitteldeutschen Rundfunks für den Papst auf dem Programm. Am Samstag will er vor den im Vatikan versammelten Kardinälen reden und am Sonntag die Friedensnobelpreis-Trägerin und Ordensfrau Mutter Teresa selig sprechen. Am Dienstag ernennt der Papst in einer feierlichen Zeremonie 31 neue Kardinäle.

Top-Secret-Schreiben hinterlegt?

Möglicherweise habe der 83-Jährige, wie sein Vorgänger Papst Paul VI. (1963-1978) es getan hatte, ein Rücktrittschreiben für den Fall seines gesundheitlichen und geistigen Zerfalls im Vatikan hinterlegt, mutmaßten italienische Medien.

Freiwilliger Rücktritt möglich

Zwar werden Päpste auf Lebenszeit gewählt, das Kirchenrecht sieht aber dennoch den Fall eines Rücktritts vor. Voraussetzung ist, dass er völlig freiwillig geschieht. In der 2000-jährigen Kirchengeschichte hat dies aber lediglich Papst Cölestin V. getan, er regierte 1294 ein halbes Jahr lang.

Erschöpfter Papst bittet um Gebete

Mit einer bewegenden Messe auf dem Petersplatz in Rom hatten fast 100 000 Menschen das 25. Amtsjubiläum von Johannes Paul II. gefeiert. Der Gottesdienst am Donnerstag begann um 18 Uhr. Um diese Zeit hatte die Welt vor einem Vierteljahrhundert, am 16. Oktober 1978, erfahren, dass der Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyla, zum neuen Papst gewählt worden war.
Als der schwer kranke Papst in einem Rollstuhl an den Altar geschoben wurde, klatschten die Gläubigen Beifall. Der 83-jährige Kirchenführer saß zusammengesunken in seinem Rollstuhl und machte einen erschöpften Eindruck. Mit brüchiger Stimme hielt er eine Ansprache, konnte allerdings nur einige Passagen selbst vortragen. In seiner Predigt bat er zwar darum seine Arbeiten fortsetzen zu können, legte sein Schicksal aber zugleich in Gottes Hand.

Der Petersplatz war mit zehntausenden Blumen geschmückt. 

Hunderte Kardinäle und Bischöfe nahmen an der Zeremonie 
teil. Unter den Gläubigen waren auch der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski und der italienische Präsident Carlo Azeglio Ciampi sowie die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier.

Papst befiehlt Gehorsam

Johannes Paul forderte die weltweit rund 4000 Bischöfe zum Gehorsam gegenüber Rom auf. In einem am Donnerstag unterschriebenen Dokument beharrte der Papst auf dem Primat des Papstes. Mehr Mitsprache der Geistlichen lehnte er ab.
„Prinzip und Fundament der Einheit sowohl der Kirche wie des Kollegiums der Bischöfe ist der Papst“, heißt es in dem Schreiben mit dem Titel „Hirten der Herde“. „Die Ausübung des Petrusamtes ist für das Wohl der ganzen Kirche und jeder Teilkirche eine echte Hilfe“, schrieb das 83-jährige Kirchenoberhaupt.

Pflicht zur Ehelosigkeit

Der Papst wies auch auf das verpflichtende Zölibat der Priester hin. Dies sei auch „als Protest gegen die Vergötterung des Sexualtriebs“ und als „eine Art spirituelle Therapie für die Menschheit“ zu verstehen, fügte er in dem Schreiben hinzu. Auf die Rolle der Frau in der Kirche ging er in dem 210 Seiten langen Dokument hingegen kaum ein.
Die Bischöfe sollten durch einfaches und enthaltsames Leben ein Vorbild für den Klerus und die Gläubigen sein, betonte Johannes Paul II. weiter. Keuschheit und Gebet hob er als besondere Tugenden hervor.

Einsatz für den Frieden

Besonderen Wert lege er auf den Einsatz der Bischöfe für Menschenrechte und Frieden, betonte Johannes Paul II. Dazu gehöre neben der „Verteidigung des Rechtes auf Leben von der Empfängnis bis zu dessen natürlichem Ende“ auch das engagierte Eintreten für Arme und Flüchtlinge.
Alle Formen von religiösem Fundamentalismus verurteilte der Papst als „Feinde des Dialogs und des Friedens“. Viele Regionen der Welt glichen „einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren und enormes Leid über die Menschheit bringen kann“, beklagte er.

Wachsam gegen sexuellen Missbrauch

Das Kirchenoberhaupt forderte die Bischöfe auf, bei Fällen von sexuellem Missbrauch durch Priester sofort einzuschreiten. Auch müsse den Opfern geholfen werden. Die Bischöfe müssten „sofort einschreiten, sowohl zur Zurechtweisung (...) des Amtsträgers als auch zur Behebung des Ärgernisses und zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit wie auch hinsichtlich des Schutzes und der Hilfe für die Opfer“, betonte der Papst in dem Schreiben, ohne ausdrücklich auf die jüngsten Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester an Kindern einzugehen, die vor allem die US-Kirche in Bedrängnis gebracht haben.

Harsche Worte zum Jubiläum

Auch am Festtag blieben kritische Kommentare nicht aus. 
Der katholische Altbischof von Trier, Hermann Josef Spital, zog eine ernüchternde Bilanz zu 25 Jahre Johannes Paul II. Er rügte in einem Gespräch mit der „Saarbrücker Zeitung“ vom Donnerstag unter anderem die Stellung der Frau in der Kirche. „Die Frau wird in einer Weise zurückgesetzt und an der Mitbestimmung an manchen Stellen gehindert, dass wir das überdenken müssen“, wurde der Altbischof zitiert. Bestrebungen aus Rom, Mädchen nicht mehr als Ministrantinnen zuzulassen, bezeichnete er als „einfach lächerlich“.
Auch beim Priesterzölibat und der Stellung der Bischöfe gegenüber dem Papst sieht der 77-Jährige erheblichen Reformbedarf. „In der Schrift steht, es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, und darum hat Gott die Eva dem Adam zur Seite gestellt. Da stellt sich schon die Frage, ob die Kirche das Alleinsein des Menschen zum Ideal erheben kann. Ich denke, wir müssten da flexiblere Lösungen finden.“
Spital kritisierte auch, dass Rom die Bischofskonferenzen zu sehr bevormunde. Diese hätten allerdings in den vergangenen Jahren auch ihre Möglichkeiten nicht genügend wahrgenommen, „sich gegen römische Linien durchzusetzen“.

Kritische Stimmen in Italien

Auch einige italienische Medien wiesen zum Amtsjubläum 
auf die schweren Probleme der katholischen Kirche hin. Dazu gehörten etwa der steigende Priestermangel und die konservative Haltung des Vatikans in Sachen Sexualmoral. 
So hielten sich auch viele gläubige katholische Ehepaare nicht mehr an das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung. 

Focus online, 17.10.03, 19:05 Uhr 

Zurück zur Übersicht "Aktuelles"
Zurück zur Übersicht "Aktuelles"
Zurück zur Übersicht "Aktuelles"

Zurück zur Übersicht "Aktuelles"
Zurück zur Übersicht "Aktuelles"